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IN erzählcafe 1
Freundschaft verbindet Otto Wynen und Anwar Shinwar, hier im Café Hinterhof. I Foto: vhs

“Wir wollen nicht verängstigen, wir wollen nicht verunsichern.”

26.07.2025 | Volkmar Heuer-Strathmann

Anwar Shinwarya aus Afghanistan zu Gast im Café Hinterhof

Anwar Shinwary spricht fünf Sprachen. “Unterschiedlich gut”, räumt der gebürtige Afghane ein, der seit 2017 deutscher Staatsbürger ist. 2011 war die Familie über die Türkei nach Deutschland gekommen. Seine Sicherheit sei bei Fremdsprachen auch von der Situation abhängig, von der Stimmung, vom Anlass. Im Erzählcafé traf er auf offene Ohren und konnte im Gespräch mit Otto Wynen Einblick geben in sein Leben. Weltgeschichte spiegelt sich darin, am Ende aber war es eine ganz persönliche Entscheidung, die Heimat aus politischen Gründen zu verlassen. “Und das fiel uns nicht leicht”, ergänzt er.

Zur Erhellung ein paar Schlaglichter: 1979 marschierten sowjetrussische Einheiten ein. 2021 verließen US-Truppen überstürzt das Land. Das erste Faktum hat mit dem kommunistischen Regime in Kabul zu tun. Das zweite mit der Politik des Westens in und gegenüber Afghanistan nach 9/11. Anwar Shinwary kann nicht davon ausgehen, dass die zurückliegenden Jahrzehnte für die Zuhörenden so präsent sind wie für ihn, vom Kolonialismus des 19. Jahrhunderts und der Rolle der Briten, von ethnischen Fragen und der Bedeutung religiöser Orientierungen ganz zu schweigen. Dass er als Afghane in der Lage ist, Geflüchteten aus der Ukraine als Übersetzer zur Seite zu stehen, da er Russisch versteht und spricht, gehört zu den Kapriolen der Geschichte. Es war eben doch gut, dass er damals zur UdSSR-Zeit in Odessa zum Experten für militärische Luftverteidigung ausgebildet wurde.

Shinwary war auf dem Lande als Lehrer tätig. Ein Pädagoge, kein Einpeitscher. Sein Vater war selbst Dozent an der Universität Kabul gewesen. Bildung galt etwas. Zur “Gretchenfrage”, um es mit Goethe zu sagen, wurde die Förderung der Mädchen. Seine Generation hatte erleben dürfen, dass – etwas vordergründig betrachtet – keine Unterschiede gemacht wurden. Seine Generation und noch mehr die Nachwachsenden mussten erleben, dass den Mädchen und Frauen von islamistischen Fundamentalisten schon kleine Ansätze von Rechtsansprüchen verwehrt wurden.

IN erzählcafe 2
Anwar Shinwary hat viel Humor: “Meine Augen sind doch gar nicht schwarz!” I Foto: vhs

Das sollten die Töchter nicht erleiden, da waren sich die Eheleute einig. Unterschiedlich wurde die “Kopftuchfrage” beantwortet, als es in Deutschland in Eisenhüttenstadt um Fragen der Integration ging. “Ich wollte nicht, dass unsere Töchter von vornherein einer seelischen Belastung ausgesetzt sind”, betont er. Seine Sicht setzte sich durch. Väterliche Dominanz muss eben nicht automatisch ins Unheil oder ins Abseits führen.

Die Frage, ob er selbst in den letzten Jahren hier in Neruppin eine veränderte Einstellung gegenüber Geflüchteten bemerkt habe, verneint er. Das Gesamtklima in der BRD ist damit nicht gemeint. Von der AfD ist kurz die Rede. Doch hier geht es um das eigene Umfeld, um den Job, um Freunde und Bekannte. Da gebe es keine Veränderung. Ihm selbst geht es als Moslem um Behutsamkeit. Er will nicht verängstigen, er will nicht verunsichern. Seine religiöse Identität aufgeben will er allerdings ebenfalls nicht. Der muslimische Glaube werde gelebt, erzählt er und verschweigt nicht, dass es beengt ist, wenn man sich trifft.
Theodor Fontane kommt nur kurz ins Spiel. Als Stichwort. Sein “Afghanistan” ist einfach noch ziemlich kolonialistisch geprägt. “Lied eines Ausgewanderten”, könnte Anwar Shinwary vielleicht mal in die Sprache seiner ursprünglichen Heimat übertragen. Und bei Gelegenheit beide Varianten vortragen: “Ich bin von alledem geschieden, was meinem Herzen lieb und wert.” Ob die folgenden Verse hier in Neuruppin unterschrieben würden? “Und meiner Seele Ruh’ und Frieden wohl nimmer, nimmer wiederkehrt.”

Die beruflichen Wege der Töchter, soweit schon begangen, zeigen, dass sie ihre Chancen nutzen konnten. Man wird sie noch brauchen in Deutschland oder wo immer es sie hinzieht….