
Wenn Walzerklänge und Operettenmelodien die Menschen erfassen
Brandenburgisches Staatsorchester – das klingt nach wichtigen repräsentativen Aufgaben. Die heroische Operette “Leichte Kavallerie” aus Wien hier am Ruppiner See womöglich spöttisch dargeboten nach dem Sieg Preußens über Österreich im Jahre 1866?
Versinkende Pferde? Ross und Reiter am Ende? Der Blick vieler Gäste zum Himmel galt sicher anderen Fragen: Bleibt es trocken? Wird der Wind weiter zunehmen? Ja und nochmal Ja! Dem Ensemble unter der Leitung von Takao Ukigaya gelang es aber, unter nicht optimalen Bedingungen ein Sommerkonzert höchster Qualität hinzulegen. Zunehmende Begeisterung mit jedem weiteren Titel – am Ende stürmischer Jubel!
Die Lektüre eines so sorgfältig angelegten Programmzettels weckt Erwartungen. Aber vermutlich sind die meisten Gäste nicht primär zum Lesen hergekommen. Doch es stimmt, was da steht über die “starke Assoziation für das Dahinjagen von Pferden über weite Ebenen” durch die “Leichte Kavallerie” von Franz von Suppè. Leider werden die Musizierenden nicht genannt, sonst könnte ein Wort mehr fallen über das Harfenspiel und die Fanfarenbläserei, über Strich und Schlag, über die Performance im Wechsel der Stimmungen. Als Ganzes genommen ein furioses Spiel dieses Ensembles, dem kein Bändiger vorsteht, sondern ein Entfesselungskünstler. Verehrung schlägt dem Fontanepreisträger 2021 entgegen. Zu Recht! Schon der Auftakt mit der Ouvertüre zu “Ein Opernball” von Richard Heuberger erwies sich als äußerst geschickte Wahl. Da reihte sich Oscar Straus’ Walzer aus “Ein Walzertraum” bald harmonisch ein. Später machte Émile Waldteufel mit dem Walzer “Tres Jolie” seinem Nachnamen Ehre. Bei Tanzgelegenheit wäre sicherlich hier und da kein Halten mehr gewesen. So aber blieb es reihenweise bei strahlenden Gesichtern und guter Laune, fast wetterunabhängig.

Es sind vor allem die Streicher, die berühren. Es sind die Percussionisten und einzelne Bläser, die bei Fanfarentönen mächtig auftrumpfen. Etwa, wenn Pietro Mascagnis “Cavalleria rusticana” angestimmt wird. Marschmusik ist kein Tabu, solange sie nicht martialisch wird oder wirkt am Bollwerk. Europäisch ist dieses Konzert angelegt und weltoffen. Werke aus Italien, Österreich, Tchechien und Frankreich lassen diese “Brandenburger” (aus aller Welt) zusammenfließen. Der Mut wird belohnt, zumal sich wirklich niemand in diesem Ensemble schont.

Auch Silke Thal nicht. Die Malerin hatte sich die Aufgabe gestellt, durch Live Painting die Atmosphäre des Konzerts zu erfassen und das Ambiente ins Bild zu rücken. Klar, dass sie sich über das lästige Schutzzelt hinwegsetzt, Farben wirken lässt und mit den Formen der Instrumente spielt, um das Orchester in Szene zu setzen. Großartig! Zum Ausklang Antonín Dvořáks Sinfonie Nr. 9 “Aus der neuen Welt” – ein natürlich rein zufällig hochaktueller Gruß aus den USA. Zerrissenheit wird Musik. Karriereglück und Geld gegen das Heimweh am Grunde der Seele. Dvořák bleibt nicht, da mögen andere ans Werk gehen, um dem Einwandererland musikalisch Identität zu geben. Von “echter amerikanischer Musik” spricht der Zettel im Hinblick auf den Auftrag – ein Thema mitten aus dem Meltingpot. Vielleicht “What a Wonderful World”? Als Veranstalter konnte man auch beim Musikverein Neuruppin vollauf zufrieden sein. Mehr Begeisterung geht kaum unter freiem Himmel – im Mittelpunkt der gefeierte Musikverrückte mit dem Mut zum aufwirbelnden Dirigieren. Ob beim nächsten Open-Air-Konzert aus den nicht wenigen Zaungästen zahlende Gäste werden? So nahmen sie’s mit als Geschenk des Himmels.
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Fotos: vhs