
30 Jahre Literarischer Bilderbogen: Büchnerpreisträgerin Ursula Krechel in Wittstock
Seit dreißig Jahren gibt es den Literarischen Bilderbogen als Markenzeichen der Region schon. In Wittstock hatte man das Glück, die Autorin Ursula Krechel zu diesem Jubiläum begrüßen zu dürfen. Im November erhält sie den renommierten Georg Büchner Preis 2025. Krechel versteht es, brisanten Stoff und interessante Figuren zu verflechten. Einfach ist ihr Roman “Sehr geehrte Frau Ministerin” nicht. Aber es ist einfach großartig, sich mit der Autorin selbst darauf einzulassen. Denn sie liest mit Leidenschaft und präsentiert Menschen aus unserer Gesellschaft.
“Koalitionsgewirr”, heißt ein frühes Wort – wie aus der Zeitung. Die Justizministerin kennt man da noch nicht. Zuerst lernt man den jungen Mann kennen, der gegen Ende auf sie schießen wird. Geschickt gewählt, könnte man sagen. Nicht mit Blick in die Wahlkabinen! Im Hinblick auf das Auditorium, denn es haben sich fast ausnahmslos Frauen versammelt. Philipp Paterak wohnt immer noch bei seiner Mutter Eva: “Ein Sohn, der den Babyspeck nie so richtig losgeworden war.” Eine Mutter, die sich Sorgen macht, ihr Kind aber nicht mehr erreicht. Das Studium hat er geschmissen. Er lebt schon länger in Bildschirmwelten. Ein Gamer ist er nicht. Ein Follower ist er, der verfolgt, was politisch und gesellschaftlich so läuft. Bald wird er sich gezielt einmischen. Das Wort von “sozialen und asozialen Medien” fällt. Der eine Buchstabe macht’s, typisch Ursula Krechel.
Aber wer schreibt hier überhaupt? Sicher, die Schriftstellerin. Aber die lässt eine Lateinlehrerin namens Silke Aschauer an die Tasten. Selbst schwer krank, dringt sie beobachtend, besorgt und manchmal sicher auch einfach bloß neugierig schreibend ein ins Private bei den Pateraks. Darf man das? “Die Würde des Menschen ist unantastbar”, formuliert die Verfassung. Und zwar unveränderbar. Stichwort “Ewigkeitsklausel”. Stimmen aus der Republik kommen später zu Wort. Krechel liest aus Briefen an die besagte Ministerin.
Man kann es ganz anders angehen. Man kann an eine Autorin wie Christa Wolf denken. Da war es “Kassandra”, die mehr wusste als die Zeitgenossen. Bei Ursula Krechel ist es Agripina, die römische Kaisermutter, mit ihrer Klugheit, die auffällig wird. “Mutter wollte, das ich mit ihr spreche”, lautet der erste Satz des Romans. Die Autorin hatte in Wittstock gleich zu Beginn gesagt, dass auch anhaltendes Schweigen “Gewalt” sein könne. Körpersprache lädt die Kommunikation weiter auf. Die “schweigende Mehrheit” kann verdammt laut werden. Von einer Veranstaltung mit der Ministerin wird erzählt. Die Dramatik nimmt ihren Lauf. Alles Weitere bleibt der Lektüre vorbehalten. Es lohnt sich. Parteiübergreifend.
Das war nicht wenig, was mit diesem literarischen Bilderbogen am fröhlich eröffneten Jubiläumstag aufgeblättert wurde. Mit der Vermutung, Ursula Krechel würde in Wittstock den Kranichen folgen, die Eva Paterak und ihre sympathische Kollegin Safira faszinieren, lag man daneben. Auch was über den Schulalltag von heute verlautet, bleibt der Lektüre vorbehalten. So wagemutig wie hier wird ja nicht oft über schwere Erkrankungen geschrieben. Das bewegt. Egal, was und wie sie unterrichtet: Die Unterleibsgeschichte ist krass. Lassen wir’s vieldeutig ausklingen, als wär’s ein Stück von ihr: “Ein Vollblutroman!”
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Ergänzende Informationen:
Das Literaturfestival »Literarischer Bilderbogen« findet 2025 zum 30. Mal statt und bietet erneut unter dem Motto „Literatur live erleben“ bekannten Autoren und Autorinnen eine Bühne. Veranstaltet wird das Gemeinschaftsevent vom Kreismedienzentrum OPR gemeinsam mit den Bibliotheken im Landkreis sowie dem Förderverein der öffentlichen Bibliotheken im Landkreis Ostprignitz-Ruppin e. V.. Ein großer Dank geht zudem an die Stiftung für den Landkreis Ostprignitz-Ruppin und ebenso an die Sparkasse OPR, die den Literarischen Bilderbogen finanziell unterstützen. Zum Flyer geht es hier.