“Wo sind die großen Deutschen heute, die solche Reden halten?”
Werke von Thomas Mann habe er als Schüler gehasst, sagt Tilo Eckart. Nun hat er selbst zwei Romane veröffentlicht, die den berühmten Schriftsteller in den Mittelpunkt stellen. Altersmilde? Ruhmsucht rund ums Jubeljahr? Oder einfach das Ergebnis einer kreativen Auseinandersetzung? Die zahlreichen Gäste in der Stadtbibliothek Neuruppin konnten sich einen lebhaften Eindruck verschaffen. Der Applaus zeigte, wie gut der gereifte Schweizer ankam.
Vorab sei nicht verschwiegen, dass man über die Kategorie “Kriminalroman” in beiden Fällen streiten kann. Die Fachwelt oder hartgesottene Krimifans mögen sich damit befassen. Die ausgewählten Passagen aus “Gefährliche Betrachtungen” (2024) und “Unheimliche Gesellschaft” (2025) erweckten vielmehr den Eindruck, es gehe primär um die politische Entwicklung in Deutschland Anfang der 30er-Jahre und die Art, wie sich Thomas Mann dazu in Beziehung setzt. Oder, was ihm und seiner Familie seitens der Nationalsozialisten widerfährt.
Zur heiteren Seite des Abends gehört die Bekanntschaft mit dem jungen Übersetzer Miuleris. Er will zunächst die “Buddenbrooks” ins Litauische übersetzen, im zweiten Band den “Tod in Venedig”. Mann nennt ihn Müller. Und der erzählt. Es geht um die ersten Begegnungen, um Hemmungen und Hartmäckigkeit. Manches Satzgefüge, manche Schilderung könnte auch von Mann sein. Eigentlich liest Eckardt dauernd mit einem Augenzwinkern. Und dabei typsicher und ohne überspannte Dramatik. Was sich historisch entwickelt und bis in die neutrale Schweiz hinein auch Zuspruch findet, ist fatal. Thomas Mann hatte 1930 in einer Rede davor gewarnt. Das Manuskript könnte ihm zum Verhängnis werden. Plötzlich fällt der Satz des Abends, nicht aus einem der Romane. Der Zeitgenosse spricht, Eckardt blickt auf und macht aus seiner Besorgnis kein Geheimnis: “Wo sind die großen Deutschen heute, die solche Reden halten?” Später wird er auch auf die Entwicklung in den USA hinweisen und kritisch fragen, wann Autoren wie etwa Jonathan Franzen sich äußern werden. Er selbst sei nicht bekannt genug. Das kann sich ändern. Im Raum ist natürlich längt klar, dass die beiden Romane seine Einmischung ins Geschehen darstellen.

Die Veranstalter konnten mit dem Besuch sehr zufrieden sein. Und mit Eckarts Performance noch mehr. Die Fontane Buchhandlung war mit von der Partie. Auch im 30. Jahr des Literarischen Bilderbogen ist die Stadtbibliothek Neuruppin eine gute Adresse. Wären junge Leute zugegen gewesen, die etwas von Thomas Mann als Pflichtstoff zu bewältigen haben, hätten sie staunen dürfen über die Art, wie Eckardt imitiert, persifliert, zitiert, parodiert, neu kombiniert und fast frei fabuliert und dabei weder den jeweiligen Kriminalfall noch die Gefahr außer Acht lässt, dass ein Krimineller als “Führer” Geschichte macht. Im christlichen Abendland. Wie geschehen.
Was zu beobachten ist an völkischem Gehabe im Jahr 1933 in “Unheimliche Gesellschaft”, sogar im Exil, sogar in der Idylle nah am See, das lässt sich natürlich als “Patriotismus” bezeichnen. Wie schon Bert Brecht schrieb, ist das Problem dieser Art Patriotismus, was damit einhergeht: der Hass auf die anderen Vater- und Mutterländer und ihre Kinder…
Fotos: vhs