“Pop und Petersilie” – jugendliche MundArt mit Pfeffer serviert
“Young Poetry Open Stage” im Alten Gymnasum – das war keine Notlösung. Das war ein Vorstoß ins Zentrum der Stadt. Der Hinterhof soll noch schöner werden. Deshalb hatten sich die Veranstalter von “Pop und Petersilie” diesmal für die ehemalige Bildungsanstalt als Spielstätte entschieden.
Wo der Lyriker Georg Heym einst litt und dem letzten Tag entgegenlechzte, blühten die jungen Wortartisten auf. Sie wagten viel bei durchweg hohem Termpo. Die Gäste waren begeistert. Als Moderator hatte man Lars Ruppel aus Berlin engagieren können. Das ist riskant. Denn er ist brilliant. Doch statt einzuschüchtern, reißt er Amy, Marie, Julia, Polina, Stefan, Victoria und Elise mit hinein in den Strudel der Wortkunst, des Poetry Slam, der Performance aus nichts als Buchstaben, Rhythmen und Lautmalerei.
Amy lässt die vielen Lauschenden miterleben, wie “ADHS” wirklich buchstabiert wird zwischen Hirn und Herz. Eigentlich etwas zum Mitschreiben. Maries “Vier Wände” stehen für Ausbruch und Aufbruch, für Eigensinn und Stolz. Das Eigene ist das Eigentliche. Eigentumsfragen stehen auf einem andern Blatt.

Julia reimt sich hinaus aus Konvention und Konfektion, sie lebt, entschwebt den fatalen Einflüsterungen: “Zu matt, zu flach, zu schwach!” Polina zersetzt Sinn, zaubert mit Ziffern und Zahlen und muss selbst staunen. Das soll sie selbst sein, vormittags noch (beim Workshop mit Ruppeleffekt) in der Anstalt, jetzt im Rampenlicht und ganz allein?
Stefan indessen spielt mit dem “Zauberlehrling” verrückt und hext wie blöd durch den eigenen Text. Später spricht er die Zeichen mit, Punkt. Ein Komma fehlt. Setzen! Victoria lässt am Schmerz teilhaben, an Sehnsucht und Verbundenheit. Ihr Atem formt die Worte, es geht nicht um Effekte. Elise wagt sich wortfeldsicher an allerlei altpapierne Alliterationen und strahlt im Applaus. Die sieben Wortartisten werden gefeiert. Und der Moderator feiert gerne mit.

Ruppels Adaption von “John Maynard” mit Berliner S-Bahn und Zielbahnhof Zoo statt “Buffalo” reißt mit. Sein “Alter Schwede” getaufter IKEA-Sermon ohne Ende mit Regalen für die Ewigkeit zeigt ihn in Hochform. Er erzählt zwischendurch mal ein bisschen aus seinem Leben, erkundigt sich, ob jemand Gambach kennt – das ist ein Stadtteil. Die Stadt interessiert echt niemanden. Ruppel gibt kurz den Hessen, dann wieder den Hochdeutschen, der die Niederungen der Provinz nicht scheut. Er tendiert zur Comedy, nicht zum Kabarett, zumindest nicht zum politischen. Wortemachen hat er zum Beruf gemacht. Workshops gibt er auch. Mit “Heidi Witzka” widmet er sich der weiblichen Prominenz und glänzt. Die jungen Leute sehen, wie weit man es bringen kann, auch wenn es in der Grundschule noch nicht so richtig losging. Mit Demenz hat er sich auch befasst, also mit geistigen Reserven. Die Anthologie “Geblitzdingst” zeugt davon. Er ist vierzig. Er ist extrem textsicher. Das Automatenhafte, das Atemlose gehört zum Programm. Ein Glücksfall für “Pop und Petersilie”!
Fotos: vhs