Aufschreiende Anklagelyrik, fast lautlose Töne und rasender Poetry Slam
Unterschiedlicher geht’s kaum. Am zweiten Tag des Poesiefestivals “Pop und Petersilie” gab es zunächst politisch hochbrisante Lyrik, dann sehr persönlich gehaltene Verse und schließlich eine unterhaltsame Mischung aus Sinnsuche und Nonsense mit den Mitteln des Poetry Slam.
Die Lyrikerin Lydia Daher hat sich den Lyriker Abdalrahman Alqalaq als Partner gewünscht. Moderiert wird nicht. Er ist vor Jahren aus Syrien geflohen, aber die Wurzeln seiner Famile liegen in Palästina. Ihr Vater stammt aus dem Libanon, sie ist in Köln geboren. Die Darbietung einiger Beiträge ist aufgeladen, denn es geht um das eigene Leben, um erlebten Rassismus, um Heimatlosigkeit und um palästinensische Identität. Die Darbietung des Gedichts “Im Land der anderen” gibt dem Lyriker die Gelegenheit, Flagge zu zeigen. Statt “unserer Heimat”, wie es im Buche steht, sagt er “Gaza”. Er prangert das schon Jahrzehnte währende Versagen der Völkergemeinschaft an, Stichwort “Zweistaatenlösung”. An einer einzigen Stelle ist vom 7. Oktober die Rede, als Datum, sonst nichts. Das Wort Hamas fällt nicht. Abdalrahman Alqalaq erzählt, er sei schon paarmal ausgeladen worden. An der Substanz seiner Verse kann es nicht gelegen haben. Allein der Büchner-Preis 2026 würde dem gerecht. Das Gespräch wird nicht für das verschwindend kleine Auditorium geöffnet. Die elektrisierende Musik von “Utracello” wirkt, als läge Drohendes über der Welt. Man nimmt eine schwere Last mit aus dem Raum. Und das Buch “Übergangsritus”, das 2024 bei Wallstein erschienen ist. Im Nachwort schreibt Michael Krüger: “Durch die widerwärtige Mordaktion der Hamas in Israel an unschuldigen Menschen hat sich die Sitution der Palästinenser – nicht nur in Gaza, sondern auch im Exil – noch einmal zum Schlechteren verändert.” Das Ritual des Zurechtrückens? Und noch tausend Fragen.

Zum zweiten Termin am Samstag fanden sich kaum Gäste ein. Die Österreicherin Elke Laznia muss man hören, live. Als Lesende. Näher kommt niemand dem Pulsschlag der Verse. Der Stille, dem Atem. Beifall wird verbeten. Zunächst aber erläutert sie im Gespräch mit Moderator Andreas Knaesche, warum sie nicht mehr als Psychologin arbeiten mochte und wie intensiv sie beim Schreiben um Worte ringt, die erfassen, was sie bewegt. Mit ihr treten später die Lauschenden innerlich ans Bett der betagten Großmutter, mit ihr öffnet sich das Empfinden für Verletzbarkeit, für Verantwortung und Verlust. Die literarische Sterbebegleitung ist zu Recht in Österreich ausgezeichnet worden. “Ultracello” wird zum Wehenschreiber alles Werdenden und alles Vergehenden. Man ist hier auf Intensivstation.

Abends ist dann Poetry Slam angesagt. Tilman Döring und Philipp Herold treten auf. Alle Plätze besetzt. Beste Laune bei Uta Bartsch, Peter Böthig und Otto Wynen als Veranstaltungsteam. Matthias Margggraff alias “Ultracello” beschränkt sich auf die musikalische Einstimmung. Bisschen Musik haben die Künstler auch im Programm. Als “Qualität und Quatsch” beschreibt Döring, was kommt, was droht, was lockt. “Es brennt”, ein Titel von Herold, ist nicht der Brandmauer gewidmet. Der Sympathikus hatte zuvor gegenüber IN-Neuruppin verlauten lassen, er lese am liebsten Verrise. Mit Häme und Sarkasmus aber kann nach dem Nachmittag leider nicht gedient werden. Und Meister der Selbstironie sind die beiden Mannsbilder in der Tradition von “Max und Moritz” ja selbst. Endlich haben sie sich gefunden.
Zettelwirtschaft bietet Döring, von Zeitstress getrieben, von Heiterkeit beflügelt. Herold verzettelt sich auch nicht beim Vorlesewettbewerb ohne Sieger. Das Mikro dient gern als Freisprechanlage. Applaudiert wird reichlich und nachhaltig. “Wo der Pfeffer wächst”, wird zum Reiseziel. “Berasen des Tretens verboten!”, gilt dort im Rapadies.
“Haarstreubende Ideen” hallen noch nach aus der Feuernummer für Heißsporne. Wie ein Schulknabe sitzt Döring dann da und liest, was selbstgegebene Hausaufgabe war und Buch werden soll. Als Titel vielleicht “Mittelmaß”? Oder “Di’ Verse”? Einen “Kräutertee” der Herren als Rap gibt’s mit für den Heimweg. Wandertagsgesang im Überschwang. “Prost!” Soviel Latein muss sein nach den Litaneien der beiden Berufslaien.
Elke Laznia ist auch noch da. Letzte Reihe. Daneben Olga Martynova. Wie ein Ehrengast. Sie lauschen. Was sie empfinden angesichts dieses gnadenlosen Alternativprogramms, lässt sich nicht einmal ahnen. Ob Verse daraus werden? Oder nur Stille?
Fotos: vhs