Mit der Lyrikerin Daniela Seel hinein in die Paradiesweltvorstellungen
Niemand von den Lebenden war dort, aber mit dem Wort Paradies verbinden nicht wenige Menschen recht klare Vorstellungen. Etwa Urlaubsanbieter. Die Weltreligionen haben einst entscheidend dazu beigetragen. Mit dem Buch “Nach Eden” begibt sich die Lyrikerin Daniela Seel in Richtung Paradies. Oder in die Zeit danach. Bei “Pop und Petersilie” konnten Interessierte an dem vielchichtigen Religions-, Geschichts- und Schreibexperiment teilhaben.
“Eva ernst nehmen”, heißt eine der Absichtserklärungen auf der ersten Seite. “Von Eva her denken”, eine zweite. Otto Wynen und Peter Böthig vom Team “Fontane-Kosmos” war anzumerken, dass sie im Gepräch mit der Lyrikerin nicht etwa den “alten Adam” geben wollten. Die Musik von “Ultracello” hatte die Wahrnehumng bereits geweitet und kosmische Vorstellungen geweckt. Die gut siebzig Minuten Gespräch, Lesung und Elektrobeat bilanziert Otto Wynen am Ende für sich: “Von der Fremdheit zur Vertrautheit!” Na bitte!
Als Katholik ist der 2004 Rheinländer mit der Vorstellung von der Vertreibung aufgewachsen, mit Evas Sündenfall und Adams Hauptrolle. Als Kind der DDR ist Peter Böthig vermutlich von einer anderen Sicht geprägt worden. Daniela Seel offenbarte im Alten Gymnasium nicht, was an ihrer Wiege in der Mainmetropole gesungen wurde. Börsendaten? Wechselkurse? Sie ist immerhin Unternehmerin. Im Buch spielen Kinderfragen nach Gott und der Welt eine ganz wesentliche Rolle. Sie war Kind. Wer nicht? Sie hat Kinder. Sie habe viel gelesen, ehe sie an dieses Werk gegangen sei, sagt sie.

Von Mauern umgeben, durch Feld und Frucht angelegt für das ewige Leben – das ist für die Lyrikerin zu eng gefasst. Und zu leicht durchschaubar als absichtsvolle Erzählung, als Unterweisung. Eine Zurichtung. Wild, lebendig und ohne Schutzwall, aber nicht wie bei Nietzsche ohne Gott, nicht unbehütet, das wäre nicht schlecht in Eden. Seel sieht Eva in Aktion, setzt Aufbruch an die Stelle von Vertreibung. Also ein feministisches Pamphlet? Weit gefehlt. Jedes Wort wirkt wie geflüstert, wie gebetet, wie geatmet. Auch wer schon 1000 und eine Lesung hinter sich hat, dürfte noch nicht oft so engelhaft angehaucht worden sein. Das gilt für Sätze wie “Mein Kind hat mir mein Sterben geschenkt” aus der Eröffnung und “Atmen ist das Schwerste” gegen Ende aus dem Mund einer Gynäkologin.
Zu esoterisch wird die Reise nach Eden auch nicht, da auch Alltag einfließt durch ein Behelfswort wie “Kita” und von “Öl” und “Gas” als Lichtquell die Rede ist. Von Volt, Ampere, von Kilowatt und Stunden könnte im Klangraum von “Ultracello” auch gesprochen werden. “Zedern der Seele” werden ins Alte Gymnasium gesetzt. Aus Assyrien? Keine Wortschöpfung der Rechten. Draußen regnet es pausenlos. Ein Geschenk des Himmels? Die Strafe des Herrn, inzwischen gern “Extremwetterlage” genannt? Man muss höllisch aufpassen, wenn man nach dieser dezent, aber nicht devot moderierten Lesung mit Paradiesstimmung ins Freie tritt und einfach nur weiterlesen will beim Heimgang.
Das Werk hat die ISBN 978-3-518-43189-4, kostet im Handel 22 Euro, hat weniger als 100 Seiten, Leergut mitgezählt, einige davon mit gerade mal zwei Zeilen bedruckt, teils übrigens die schönsten, andere mit gut dreißig, teils übrigens die schwierigsten, es nennt sich “NACH EDEN” und “Gedicht”, ist im Suhrkamp Verlag erschienen, also nicht in Seels eigenem Verlag, wird Preisgeld einbringen und andere Sprachen erreichen. Über den Kleist-Preis hier noch kein Wort. Über das verschwindend geringe Interesse der Nachfahren Evas in der Fontanestadt auch nicht. Wer wollte nach Max Webers Analyse des Protestantismus überhaupt noch ins Paradies? Läuft doch…
Foto: vhs