
Karl Marx muss beim Weinfest draußen bleiben!
“Religion ist Opium des Volkes”, hatte er einst behauptet. Solche Betäubungsmittel waren nicht sein Ding, nicht die Religion, nicht das Opium. Auch nicht als Schmerzmittel, das für die Seele nicht und das für den Körper erst recht nicht. Ihn zu einem Weinfest einzuladen, wäre zumindest ein Wagnis angesichts der Wirkung, die Wein hervorzaubern kann. Also schaut der gute alte Karl nur über die Abzäunung.
Bei herrlichem Wetter warteten nicht wenige Gäste schon lange vor der Zeit auf Einlass. Kaum anders am zweiten Tag. Da gaben junge Musiker mit ihrem Soundcheck schon einen Vorgeschmack auf die angekündigte Live-Musik. Überall auf dem abgesperrten Platz emsige Leute, die sich um die letzten Notwendigkeiten kümmern, damit die Gäste mindestens zufrieden sind. Vielleicht sogar glücklich. Klar: Marx hielt das nicht für möglich. Die Aufzucht der Pflanzen, die Ernte der Reben, die Behandlung, der Transport – um nur ein paar Aspekte der Lieferkette zu nennen. Wo nicht genossenschaftlich gewirtschaftet würde, wäre von Anfang an kraft Privateigentum der Wurm drin. “Lohnsklaverei, Entfremdung, Verelendung” – der gute alte Schulstoff in Sachen kapitalistische Ausbeutung.

“Marketing”? “Stadtmarketing”? Für Marx kein Thema. Sicher ein übler Trick. In Neuruppin aber seit 30 Jahren Programm. Drei Tage lang. “Hier trifft Genuss auf gute Laune”, heißt es in der Ankündigung. Das will was bedeuten in diesen Tagen und in diesen Breiten. Weine aus der Partnerstadt Bad Kreuznach und der Nahe-Region sind im Angebot. Was sonst noch, erleben die, die hingehen. Zum Beispiel am Samstagabend. Da folgen DJ Heinz Hugo, Instrumentalist Dominic Merten und “GIN rockt” aufeinander. Um 1 Uhr ist Schluss, also am Sonntag. Die teilnehmenden Betriebe präsentieren sich auf ihre Art. Es darf auch gegessen werden, natürlich ein Angebot passend zur Jahreszeit. “Effi Briest” wird auch da sein. Die Damen vom Lions Club können an solch einem Abend nochmal in die gute alte Frauenrolle wechseln und bedienen. Kein Wort über den Baron…

Platz ist genug. Die Tische reichen fast bis zu Karl. Andere Denk- und Gedenkwürdigkeiten sind gut und dezent integriert. Rosengarten und Schulplatz sind einfach ein Plätzchen, das andere Städte gerne hätten. Wenn dann auch noch am Rande über den Bürgerhaushalt 2026 abgestimmt werden kann, passt eigentlich alles. Marx würde da natürlich auch wieder nerven. “Keine Demokratie ohne Vergesellschaftung der Produktionsmittel!” Und dann, so der Prophet, eines fernen Tages ein echtes Weinfest, etwas Himmlisches, Motto: “Jeder nach seinen Bedürfnissen, jeder nach seinen Fähigkeiten!” Ach, eins noch: Es kostet bisschen Eintritt. Jetzt kein Wort mehr von Marx! Sondern: “Prosit!” So viel Latein muss sein beim Wein…