Chorgesang und Akrobatik – ein Experiment in der Klosterkirche
Musik erklingt, der Klang vergeht. Impressionen bleiben. Nun war in der Klosterkirche ein Experiment zu erleben: Der Chor Bel Canto Musicae trat gemeinsam mit der Akrobatin Alma Charlotte auf. Am Ende gab es nicht nur Applaus, sondern auch Jubel. Und Bewunderung, denn es war ziemlich kühl in der Kirche und für alle Akteure sicherlich eine hohe Beanspruchung.
Am Handzettel ging es nur zeitweise entlang. Aber die zahlreichen Gäste wurden hinreichend informiert über die ausgewählten Werke. Dirigent Dietrich Bräutigam hat eine Formation um sich geschart, wie sie eine einzelne Gemeinde sicher nur selten hervorbringen kann. Sie singen mit einer Stimme, auch wenn sie vielstimmig singen. Völlig in sich ruhend und doch voller Gefühl, stimmen sie sakrakle Musik an, etwa das “Misere mei, deus” von Gregorio Allegri, aber ebenso modernes beschwingteres Liedgut oder am Ende ein trauriges Lied in der Tradition der Romantik: “O du stille Zeit” von Cesar Bresgen nach Joseph von Eichendorff, etwas aus dem Herbst des Lebens. Was sich vor ihren Augen ereignet, lenkt die Singenden nicht ab. Ob es ihnen ungeteilt gefällt, bleibt ihr Geheimnis.
Alma Charlotte wagt nicht wenig. Die Fallhöhe ist nicht gemeint. Vor paarhundert Jahren wäre sie verbrannt worden. Jesus am Kreuz und sie geschmeidig am Seil, die Nägel, der Schmerz, die Demütigung und der Gotteszweifel. Mein Gott, wer hat diese Idee gehabt? Alle Bedenken werden aufgelöst in den anmutigen und wagemutigen Bewegungen, in der Überwindung der Schwerkraft am Seil oder am Ring. Sie wird nicht zur Kunstturnerin, sie verfließt in den Klängen dieser Gesänge und bleibt introvertiert. Auch das ein Gotteslob, nur anders.

Eher traditionell, aber nicht weniger berührend wirkte da, was statt der angekündigten Intrumentalnummern von dem stimmsicheren Bariton Nico Brazda an Liedgut dargeboten wurde, kraftvoll begleitet von Dietrich Bräutigam am Elektropiano. Auch dafür gab es viel Applaus. Kirchenmusikdirektor Matthias Noack hatte einführend über das Immaterielle der Musik gesprochen, über das Vergängliche der Töne, von Konserven mal abgesehen. Viel spricht dafür, dass dieser Abend in der Klosterkirche lange in Erinnerung bleibt wegen dieser artifiziellen Liaison. Die Kreuzigung ist ja auch nicht der letzte Akt gewesen. Nicht nur die Schwerkraft, teilt man den christlichen Glauben, wurde in der Auferstehung überwunden. Im “Miserere mei, Deus” heißt es ja auch: “Gib meinem Hören Freude und Wonne und die zermalmten Gebeine werden jubeln.”
Fotos: vhs