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IN heinlesung 1[21]
Es muss nicht immer Getreide sein – Jakob Hein zu Gast in Neuruppin.

Eine DDR-Planlektion in Sachen Cannabismarkt – Jakob Hein als Dealexperte

14.12.2025 | Volkmar Heuer-Strathmann

Der Titel ist furchtbar lang. Die Resonanz war wahnsinnig gut. Jakob Hein zum Ausklang des 30. Literarischen Bilderbogens einzuladen, erwies sich als Geniestreich. Ob einigen Gästen das Lachen im Halse stecken zu bleiben drohte angesichts eigener Verstrickung ins DDR-Herrschaftssystem, hätten selbst Überwachungkameras kaum festhalten können.

“Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste”, so hat Jakob Hein seinen jüngsten Roman genannt. Wo sonst primär vom Geld die Rede ist, ging es diesmal um eine andere Droge. Um Cannabis. Die besagte Idee ist sehr einfach. Die Umsetzung sehr gefährlich. Zumindest unter den Bedingungen des real existierenden Sozialismus. Die sowjetrussisch drangsalierte Volksrepublik Afghanistan liefert ins Freundesland, was sie zu bieten hat. Also zunächst nichts, später den Schwarzen Afghanen. Dank Grischa. Die Deutsche Demokratische Republik bekommt, was sie braucht. Also Westmark. Transithandel macht’s möglich, unmittelbar auf der Grenze, eine Gratwanderung!

Sparkassenkunden sind natürlich sofort tief verunsichert, denn vorab hieß es von hoher Warte, manchmal müsse man außergewöhnliche Wege gehen. Zur Not sogar Absurdes wagen. So Mario Zehle als Gastgeber, als Kulturförderer. Auf die Legalisierungdebatte ging er lieber nicht ein. Cannabis als Scherzkeks, das war sicherlich für viele Gäste eine Überraschung.

IN hein lesung 2[89]
Nachdenklich, bis ihn nichts mehr hält auf dem Sparkassenstuhl.
Jakob Hein erzählte. Auch dass er sich mit einer Erkältung quäle. Nicht dass jemand das Schniefen missverstünde. Lesung, Erläuterung, Erzählung und Imitation gehen bruchlos ineinander über. Mal sitzt er, mal springt er auf, mal steht er, mal geht er. Er gibt den Figuren Stimme, sogar Mundart, es wird geheuchelt und fachgesimpelt. Der SED-Jargon jener Jahre Anfang der 80er wird eingesponnen. Man schaut das kleine Fernsehspiel als Einpersonenstück, als Satire vom Feinsten.Grischa lernt man in Gera am Bahnsteig kennen. Die stinknormalen Eltern auch. Also die Ostausgabe. Er tritt nach dem Studium mit planwirtschaftlichem Schwerpunkt im Phantasialand eine Stelle in der Hauptstadt an. Der Staat, der laut Marx eines Tages absterben soll, wird köstlich karikiert mit jedem Planquadrat, aber nur bedingt als brutal und totalitär markiert. Es gibt viele Resonanzgeräusche im Raum bei der Erledigung der Angelegenheit, bei dieser Lachnummer auf die Planwirtschaft und auf die Segnungen des real eben nicht existierenden Sozialismus mit menschlichen Schwächen in allen Spielarten. Von den Westtypen als Grenzgänger ganz zu schweigen. Szenenapplaus war die Regel – und das bei diesem fatalen Wirkstoff, echte Heilwirkung oder Leidenslinderung mal ausgenommen.
Natürlich weiß Jakob Hein als Psychoexperte, dass Drogenabhängigkeit nichts Lustiges ist. “Bahnhof Zoo” wird erwähnt. Assoziationen werden geweckt. Ob der Autor zu weit geht, hätten in der DDR die Zuständigen entschieden nach Beschlusslage des ZK der SED. In Freiheit lassen wir es gerne offen. “Kulturatache der DDR” in Afghanistan, das führt in der Tat weiter als bloß ins Anbaufeld. “Held der Arbeit” bekommt auch einen ganz neuen Klang: “Für`s Nichtstun…” Humorlose werden das Werk hassen. Oder links liegen lassen. Eine Altersempfehlung? An Schulen lieber nicht vor Erreichen der Religionsmündigkeit, von wegen “Opium des Volkes”!

Grischa selbst hätte der verschwenderische Sparkassenabend gewiss gefallen. Nach der Einheit hat er vermutlich einen Job im Finanz- und Wirtschaftssektor gefunden. Kein Hinterzimmer, lieber Schalterhalle. Geschäfte anbahnen. Dienste leisten. Endlich SUV fahren, nie wieder Reichs- oder Deutsche Bahn. Und Mama und Papa wären stolz auf ihr FDJ-Kind.
Christoph und Christine Hein bestimmt auch, so wie Sohn Jakob, Planjahr 1971, drauf ist in der Fontanestadt. Halb krank, aber voll cool. Als Performer könnte Jakob Hein sogar das “Narrenschiff” von Papa durch die hohe See des Kulturbetriebs bringen. Oder ist Christoph Hein selbst schon gebucht für eine Kreuzfahrt nach OPR im Jahr 2026, Seefahrt inklusive?

Fotos: vhs