Früher mit Feder oder Federhalter, heute mit Smartphone oder Tablet?
Was hält Theodor Fontane da in der rechten Hand? Einen Federhalter? Er sollte so dargestellt werden, so der Bildhauer Max Wiese, als wolle er gleich etwas notieren. Er hält Rast, aber er schaltet nicht ab. Heute sieht man selten Menschen mit solchem Gerät unterwegs. Deshalb macht sich der Fontaneexperte Robert Rauh große Sorgen.
Robert Rauh kennt man nicht nur in Neuruppin als Autor, der sich mit Werk und Leben Theodor Fontanes befasst. Als Lehrer und Ausbilder hat er sich jetzt in einer Lokalzeitung in einem Gastbeitrag zur Digitalisierung an Schulen geäußert. Nicht in der Verwaltung. Im Unterricht. Und daheim. Seine Meinung, seine Forderung: “Schulen brauchen Grenzen bei der Digitalisierung.”
Der Psychoanalytiker und Menschenfreund Bruno Bettelheim titelte im Jahr 1977: “Kinder brauchen Märchen”. Imagination war eine der Befreiungskräfte. Bei dem Psychologen Jan-Uwe Rogge hieß es 1993 “Kinder brauchen Grenzen”. Das klingt ziemlich beschränkt. Bestseller wurden beide Bücher. Die Frage nach den Grenzen im Hinblick auf die Digitalisierung der Schulen wird von Robert Rauh nicht präzise beantwortet, es ist eher ein Motto, ein Weckruf, dessen empirische Grundlage in jenem Beitrag sehr schmal ist. Aber das mag dem Format oder dem Berliner Blatt geschuldet sein.
Rauh berichtet, auf die anstehende Wiederholung des Konjunktivs hätten Zöglinge mit den Worten “Brauchen wir später nicht!” reagiert. Als Geschichtslehrer insistiert er darauf, dass der Konjunktiv als Modus besondere Relevanz für die Anlyse einer historischen Quelle habe. Vermutlich ist primär das Verfassen der Analyse gemeint, also zum Beispiel die indirekte Rede mit all ihren Besonderheiten. Die Zöglinge aber setzen auf Korrekturprogramme, also auf das, was das Tablet angeblich könnte, wenn es nur dürfte. Ob es wirklich bei Modusfragen hülfe? Mal prüfen! Ob “Hülfe” Indikativ ist?

Klarer Fall. KI kann’s. Es geht aber um Wesentlicheres, es geht um die Durchdringung der Existenz. Um Form gewordene Philosophie. Ein Leben ohne Futur zwei ist natürlich möglich. Das wird man womöglich bald erreicht haben. Erzählimperfekt wird ja vielleicht auch schon bald für eine Mängelbescheinigung gehalten.
Die Zöglinge in Rauhs Leistungskurs Geschichte in Lichtenberg am Gymnasium argumentieren sehr grundsätzlich, wenn sie fehlende Freiheit beklagen und Ungleichheit. “Die Alten dürfen alles, die Jüngeren wenig, die Jüngsten nichts”, könnte man in ihrem Sinne in die Tasten schlagen. Das Thema Schulpflicht wäre dann eigentlich auch noch zu diskutieren, ihre Begründung, ihre Dauer, dann Bildungsstandards, Zentralabitur und Numerus Clausus. Rauh sieht das Bundesbildungsministerium bereits am Werk von wegen Zukunftsfähigkeit. Fatal findet er das, das hört man heraus, während man das papierne Blatt für 2,40 Euro liest. “Tablets schon in der Grundschule?”, fragt er besorgt. Hoffnung kommt für ihn neuerdings ausgerechnet aus Bayern. Notebooks soll es dort erst im 8. Schuljahr geben, nicht im 5., statt Tastenschlag oder sanfter Berührung also weiterhin Stift oder Füller und viel Papier.
Und Theodor? Er notierte im Rückblick: “Gut lesen und schreiben können, beiläufig im Leben etwas sehr Wichtiges, ist eine Art Erbbgut in der Familie.” Erbgut? Vom Spracherwerb und den kommunikativen Kompetenzen hatte man noch nicht viel Ahnung zu seiner Zeit. Die Mutter muss streng gewesen sein. Fontane, nur ganz vorsichtig ironisch: “Ein Schlag zu viel konnte nie schaden.” Rohrstockpädagogik prägte viele Schulen. Einzelne waren anders. Wie heute: Einzelne spielen nicht mit im Digitalzirkus – wie Robert Rauh.

Der Autor von “Fontanes Frauen” (2019) ist als Lehrer und als Ausbilder gleich mehrfach betroffen von der neuen Gretchenfrage: “Wie hast du’s mit der Digitalisierung?” Es scheint, er hält nicht viel davon, wenn sie zu früh und unvermittelt daherkommt und sich breitmacht. Man denke nur an den Mangel an persönlichem Ausdruck, an Expressivität, so ohne die eigene Handschrift mit Füller oder Stift. Im Abitur wird immer noch geschrieben, nicht getippt. Das wäre änderbar. KI käme vermutlich mit an den Tisch. Und Fake und Fernkontrolle.
In Neuruppin ist eben erst die Puschkinschule in die Schlagzeilen geraten. Handys werden dort abgegeben. Ein Modellversuch. Sechs Stunden handyfreie Zeit. Ein Einzelfall. Ob der Schule macht? Und die Lehrerzimmer erfasst? Tablets sind anderer Art.
Die Diskussion geht weiter, das ist sicher. Ob Rauhs heutige Zöglinge in der Oberstufe denn wenigstens noch Stilmittel analysieren können? Zuspitzungen wie die folgende, vermutlich am Laptop getippt und online versendet an das Lokalblatt der Weltstadt an der Spree: “Wenn wir den Digitalisierungswahn jetzt nicht bremsen, unterrichte ich in den nächsten Jahren eine Generation, die Schreiben, Lesen und Recherchieren für ein historisches Phänomen hält.” HistoPhä? Ne – oder? Müsste man mal HistoMat drauf anwenden…
Fotos: vhs