
Grenzüberschreitungen einer Wortakrobatin ohne Harmoniegarantie
Lisa Kränzlers “Mariens Käfer” mit dem Fontane-Literturpreis 2025 ausgezeichnet
Eine “Lücke im Mauerwerk”, dann “die Macht der Sehnsucht” und alles im angeblichen “Paradiesgarten”? Das Märchen “Mariens Käfer” von Lisa Kränzler also ein weiterer Versuch, dem real (nicht) existierenden Sozialismus in der DDR gerecht zu werden mit Flucht, Flug und Bruchlandung im kapitalistischen Alltag der sogenannten BRD?
Weit gefehlt! Lisa Kränzler hat ein Werk vorgelegt, das in keine Schublade passt. Auch nicht, nein: schon gar nicht im Hause Fontane. Ein Buch, das verwirrt, das anmutig wirkt, das manchmal nervt und viel Poesie wagt. So ähnlich, nur viel wortgewandter äußerte sich auch Professor Iwan-Michelangelo D’Aprile als Sprecher der Jury, die dieses klostergartenartig bebilderte Büchlein der in Dresden lebenden Künstlerin für den Fontane-Literaturpreis 2025 auswählte.
Diesmal also ein Kunstmärchen. Der romantisch angehauchte und christlich aufgeladene Basistext ist kürzer als der postmoderne Anhang. Und anderen Stils. Die als “Sidetracks & Additives” versammelten Sätze und Stichworte sind kaum zu fassen, ohne sich auf noch mehr Stoff einzulassen. Man denke nur an “Clockwork Orange” oder an den VW-Käfer, den rundlichen westlichen Vorläufer der heutigen SUV-Kampfpanzer auf den Straßen der Einheit. Rumms! Plötzlich eine Anspielung auf Arno Schmidt. Der könnte übrigens ein Wegbereiter sein für Kränzlers Zettelwirtschaft.
Für den wundersamen blauen Käfer wird’s unschön unter Menschen, etwa beim Uhrmacher, bei diesem Schmied, dem Schneider oder dem Trödler. Nur Männer, angefangen mit Luzius. Luzifer? Fast nur gewählte Worte. Viel Weltfremdes. Eben ein Märchen. Ein Kindheitstraum? Weiter im Anhang. Hin und her. Voll schwer. Der Auswurf. Die Abfuhr. Die Possen. Expertenworte. Die Stilblüten. Die Derbheiten. Und wieder Sätze wie der vom “Brot der Engel” oder die Frage, ob der Käfer bloß spürte, was er sich wünschte. Ein Fall von Adoleszenz?
Bei so viel Komplexität der Infrastruktur und so viel ultraromantischem Kunstverständnis wirkte es konsequent, dass Jörg Sundermeier in seiner Laudatio fast nichts zum ausgezeichneten Buch, aber viel zum bisherigen Tun und Lassen “seiner” Künstlerin sagte. Eben als Verleger, als Boss des Verbrecher Verlags. Auf die Idee muss man auch erst mal kommen, einen Wort-, Papier- und Geldmenschen so in Verlegenheit zu bringen durch Lobhudeleiverdacht.
Lisa Kränzler indessen griff nach der Preisverleihung souverän zum Werk. Was einen “Dankbarkeitsappell” ausmacht, steht da irgendwo Schwarz auf Weiß. Und der lesende Mensch darf ankreuzen, was zutrifft. Etwa bloß “ein effektiver Schuldgefühl-Erreger”? Zu schön, dass “Karl die Große” auch da war. Mit “Niemals Fame” gab’s die Musik des Abends – in ewiger Erinnerung. Wie die “Birnen”, die Kränzler früh zu Fontane lockten, wie sie verriet in der Fontanestadt. Die Ballade ewiger Güte, oft verkitscht, hier würdig eingewoben…

Ein gutgelaunter Bürgermeister Nico Ruhle und die leseforschungsbelesene Landesministerin Manja Schüle hatten die zahlreichen Gäste herzlich begrüßt. Beherzt auch die Moderation von Tina Knop. Wencke Wollny und Partnerin ließen schließlich spritzig und sektlaunig ausklingen, was mit dem Wort “Preisverleihung” nur notdürftig benannt ist.
Lisa Kränzler, die in dem mit 40.000 Euro Fördergeld bedachten Werk “Kritiker” und “Anti-Kritiker” als Nachschlag auf’s Köstlichste zu karikieren weiß, von Provinzfedern ganz zu schweigen, wird sicher ein Wort dafür finden inklusive Buchgeld. Spätestens, wenn es den nächsten Peis gibt für die sympthische Künstlerin, die übrigens auch malt, also (nicht nur) buchstäblich. Wäre noch das dezent einrahmende Trio zu erwähnen. Nach dieser Käfergeschichte (ohne Kafkas Verwandlungskunst) hört man die Mueckenheimer natürlich selbst noch sensibler, noch schmerzbewusster und kreaturempathischer summen im stilvoll gestalteten Kulturtempel…

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Weitere Informationen zum Fontane-Preis gibt es hier…