
In Rheinsberg: “Fruchtblase geplatzt!” In Neuruppin: “Glücklich entbunden!”
Stadtschreiberin Olga Hohmann hat eine mitreißende Geschichte zu erzählen.
Wir schreiben das Jahr 1992. Die Eltern von Olga Hohmann machen Ferien in Rheinsberg. Olga war schon mit von der Partie. Die Mutter war schwanger. Was die beiden Wessis veranlasste, im Osten in einem ehemaligen FDGB-Heim abzusteigen, ist auch Olga nicht ganz klar. Es könnte mit dem Kunstinteresse der Mutter zu tun haben. Als Stadtschreiberin hat Hohmann drei Monate Gelegenheit, dem Fall nachzugehen. Im Tucholsky-Literaturmuseum konnte sie zahlreichen Interessierten einen Eindruck von ihrer bisherigen literarischen Arbeit vermitteln.
In Rheinsberg platzt die Fruchtblase, in Neuruppin kommt das Baby zur Welt. Gesund, aber zu früh. Es geht also erstmal in den Brutkasten. Autobiografisches Erzählen stößt an Grenzen. In “Unbekannter Heimatort” mischen sich Reflexionen zum Erinnerungsprozess mit Schilderungen der Erzählgegenwart. Die Anreise von Berlin in einem offenen Cabrio bis nach Rheinsbrg verzaubert die sympathische junge Frau immer noch. Sie wähnt sich in einem Film in Südeuropa und die fasziniert Lauschenden fahren gerne mit. So geht’s wie beflügelt durch das Bundesland der Alleen und Seen.
Andere Erzählmotive gelten der Historie am Ort, vor allem der Kronprinzenzeit und der Herrlichkeit. Und das “Bilderbuch für Verliebte” von Kurt Tucholsky wird auch aufgeblättert. Ob die Geschichte von Claire und Wolfgang die Eltern von Olga in Wahrheit nach Rheinsberg gelockt hatte?
Drei Monate Rheinsberg, das heißt für die 61. Stadtschreiberin im Sommer 2025 Extremwetter, Badelust, Schattenflucht. Waldbrandgefahr gehört auch dazu. “Der Marstall ist ideal”, sagt sie. “Schön kühl!” Bei einem Chor habe sie Anschluss gefunden. Ganz allein singt sie “Der Mond ist aufgegangen”, einst in Rheinsberg komponiert. Mit Interesse hört sie, dass sie in Neuruppin in einer ehemaligen “Irrenanstalt” zur Welt gekommen ist. Der Spur will sie in diesen Wochen auch mal nachgehen. Man weiß ja nie…

Schon vorab hatte Ellen Krukenberg als Leiterin des Museums “den Neuen” vorgestellt. Nein, nicht den nächsten Stadtschreiber. Den Mitarbeiter, der sich in Rheinsberg ab Mitte Juli 2025 mit wissenschaftlichen Fragen befassen wird, so wie es bis zur Pensionierung von Peter Böthig beste Tradition war. Also Entwarnung in der Frage der Museumszukunft? Die Frage war an diesem Abend kein Thema. Aber Graf nutzte die Gelegenheit, sich als Verleger, Literaturwissenschaftler und Publizist aus Berlin kurz vorzustellen. Schon die Tatsache, dass er den “Verlag Das Kulturelle Gedächtnis” aufgebaut hat, lässt für die Zukunft hoffen.
Offen ist noch die Frage, ob die Fontanestadt Neuruppin mit Olga Hohmann eine weitere Autorin für sich verbuchen kann. Eine Tochter der Stadt ist sie. Die Geburtsurkunde ist Beleg. Eine Mindestzahl an verbrachten Minuten, Stunden, Tagen, Wochen, Monaten oder Jahren gibt es nicht. Theodor Fontane, Erich Arendt und Eva Strittmatter, die bekanntesten Literaturkinder der Stadt, weilten schließlich auch die meiste Zeit ihres Lebens nicht am Ruppiner See, vom Maler und Architekten Karl Friedrich Schinkel ganz zu schweigen. Doch für einen Platz im Neuruppiner Stadtmuseum muss es sicher noch mehr sein als der vielversprechende Rheinsberger Bogen.
Schon am 22. Juli 2025 gibt es in Rheinsberg im Tucholsky-Museum die Gelegenheit, die Autorin erneut zu erleben. Dann tritt sie ab 18 Uhr gemeinsam mit dem Theaterregisseur Jan Koslowski auf. Bei “Toxic Gifts” haben sie 2024 bereits kooperiert. Ein Titel, als würde Tucholsky immer noch heilsam wirken in Wortspielen dieser Art.