
Shakespeares Drama “Der Sturm” – unkonventionell in Szene gesetzt
Das Brettspielensemble aus Dresden verzaubert die Besucher des Tempelgartens in Neuruppin.
Es gibt Ariel, Beriel und Ceriel, da bleibt kein Flecken. Zauberkräfte wirken, auch durch Musik. Es gibt Stephano und Trincolo, da bleibt kein Tropfen in der Flasche. Vor allem aber ist irgendwo auf einer Insel der Herzog Prospero von Mailand. Er ist verbannt. Er hatte sich in den Kämpfen, im Wust der Intrigen verrannt. Ein Sturm spült Jahre später Gegenspieler an Land. Höhere Mächte und niedere Instinkte scheinen überall im Spiel. Eben Shakespeare, eben der Theaterzauberer, der schon zu seiner Zeit den Rahmen sprengte und vieles überwand, was ihn einengte. Man kann das begrüßen. Leicht ist’s letzte Werk nicht, das muss man wissen. Wenn dann noch ein Ensemble wie “Spielbrett” aus Dresden Hand anlegt und Verfremdungen einfügt, dann ist das Publikum gefordert. “Vorletzte Szene”, hört man irgendwann aus Prosperos Mund, als hätte Brecht sich eingemischt, damit alle wissen: Es wird nur gespielt. Bitte nicht weinen bei der Trauungszeremonie. Es ist bald geschafft. Die Versöhnung läuft. Die Musik ist angenehm. Alles Zynische, alles Eklige, alles Primitive, vor allem aus Männermund, ist längst vergessen. Es ist spät, es reicht.

Das Kitakind in der ersten Reihe muss doch bestimmt allmählich zu Bett. Der große Hund in der letzten Reihe wirkt langsam unkonzentriert. Aber insgesamt halten sich die vielen Gäste wacker. Ab und zu wird applaudiert, vor allem wenn Songs locker geboten werden. Niemand rennt los, nur weil die laut tönenden Feuerwehrautos auf der Heine-Straße womöglich schon zur eigenen Behausung unterwegs sind und einen Löschversuch starten. Wird schon schiefgehen, wie in der großen Politik mit ihren Bränden, die Shakespeare gern aufgriff. “Gut regiert werden”, das ist als Wunsch zu hören. In Berlin, in Potsdam, in Dresden? Über Washington und Moskau wäre länger nachzudenken, aber die Zeit ist nicht gegeben. Weiter, weiter, weiter. Maximal hundert Minuten, das ist ein Versprechen.

Ulrich Schwarz und Annete Bundy können als Regieteam zufrieden sein. Nach zwei Jahren “Sturm” fegt der Wind immer noch. Als Amateurtheater arbeitet man zum Teil mit Doppelbesetzungen. Im Tempelgarten prägt Steffen Roye als Prospero das Spiel. Dorothee Ebert-Bienz bekommt als Ariel besonders viel Beifall. Magie und Poesie, das ist ihr Element. Als Caliban ist Mattias Loeper zu erleben. Sein Spiel ist wild, seine Gefühle sind stark. Sein Gang durch die Reihen schreckt auf. Als “Inselbewohner” wird er bezeichnet. Man möchte korrekt sein. Nicht dass er ausgewiesen wird, nur weil er ein “Wilder” ist bei Shakespeare. Die Akteure wissen, dass Gleichgültigkeit droht, wenn “alles als gleich gilt”. Solche Wortspiele werden gewagt. Nationalsozialismus und Sozialismus werden in einem Atemzug erwähnt. Natürlich so schnell und zappelig, dass der Wortlaut nicht notiert werden kann. Im Original ist davon nicht die Rede. Shakespeare reichte, was er wusste über Tyrannei, Machtspielchen und Liebedienerei.
Zu kurz kommt der Sturm. Die Naturgewalt. Die Fluten. Die Verheerungen. An Applaus mangelte es dennoch nicht. Denn dieses Ensemble spielt mit großer Leidenschaft, zeigt Spielfreude, Witz und Wagemut und wird sicher gerne mit der nächsten Produktion wieder nach Neuruppin kommen in den Tempelgarten. Als Zeitungskritiker aus einer untergegangenen Zeit hat Theodor Fontane oft mit Shakespeares Stücken zu tun gehabt. “Der Sturm” ist nicht dabei. Was Scheinwelten anbelangt, also Realismus und Naturalismus überwindet, schreibt Fontane 1884: “Das Entscheidene ist die Leuchtkraft.” Blitzgescheit der Mann, wohlwissend, dass verwirrende, verführende Irrlichter darunter sein können – eben wie im “Sturm”. Die Harfenklänge kamen ja wie vom Himmel, noch keine neuen Sturmstaffeln in Sicht…