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Stummfilmnacht
Ein Moment der Stille? Nicht, wenn Paolo Oreni Atmosphäre gestaltet.

Stimmenpracht in der “Stummfilmnacht” – von Paolo Oreni entfacht

14.09.2025 | Volkmar Heuer-Strathmann |

Schon zur Stummfilmzeit blieb es in den Kinos oft nicht still. Pianisten fanden einen interessanten Job, vorneweg Stimmungskanonen. Der Italiener Paolo Oreni knüpft als Organist an diese Tradition an und bringt die ganze Bandbreite des Orgelklangs ins Spiel. In diesem Jahr gab’s zwei Kurzfilme von und mit Charly Chaplin – ein bejubelter Abschluss der Sommerkonzertsaison 2025..

In dem Werk “Der Tramp” ist der Protagonist immer wieder als Tollpatsch zu sehen. Die einfachsten Verrichtungen gehen schief. Zum Glück haben die Ganoven, die sich ihm entgegenwerfen, auch reichlich Pech. In dem etwas längeren Kurzfilm “Entführung” sieht man den Helden, wie er um eine Frau wirbt, die eigentlich in gehobener Gesellschaft ihr Eheglück finden soll. Was ihr Herz sagt, zählt nicht. Macht macht’s möglich. Man sieht, wir sind in der guten alten Zeit. 1915 entstanden die Werke in Kalifornien. Später sollte sich Chaplin in “Der große Diktator” noch der bisher schlimmsten Zeit der Menschheit zuwenden, “Made in Germany”.

Chaplins Gesicht, der Blick, der Bart, das Haar, der Bowlerhut, der Stock, der Gang, die Kleidung – nur Markenzeichen, alles Kult. Da ist es kein kleines Risiko, sich einzumischen, also musikalisch mitzumachen. Paolo Oreni spielt auf, als würfe er sich selbst ins Geschehen. Was läuft, kann er auf einem kleinen Bildschirm sehen. Ein Tollpatsch vom Range Chaplins an der Orgel, seine Zuckungen, seine Zerrungen, das wäre ein Desaster. Alles muss stimmen. Oreni ist eben nur scheinbar von Sinnen.

Stummfilmnacht
Die Umworbene, die den Organisten kurz fast feierlich werden ließ.

Der Organist folgt der Filmspur. Er spielt zumeist handlungnah. Malerische Filmmusik, die sich von der Leinwand lost und entfliehen lässt, entwickelte sich als Genre erst später. Besonders gefordert ist der Künstler bei Chaplin im Streit, im Gemenge, im Wirrwarr. Und genau dann spielt Oreni spritzig, bewusst hektisch, er setzt Akzente mit seinen Pfeifen. Seine sprunghafte Beinarbeit zeugt von sehr großer Treffsicherheit.
“Der Tramp” bietet durch die drei Lumpen auch Anlass zu groben Tönen. Oreni geht mit. Es dröhnt. “Entführung” tendiert anfangs leicht ins Graziöse, ins Leichte, ins Melodische. Oreni lässt es fließen. Lässt Blumen sprießen. Hier kracht es erst später. Dann aber umso lauter, umso wuchtiger. Kleine Überschriften und kurze Textfotos geben knappe (englische) Informationen – alles wie 1915. Stilles Lesen wäre das Ende. Es knistert, Amor flüstert. Bei der Verfolgungsjagd gibt’s dann Vollgas, der SUV rast auf das Auditorium zu. Man darf sich für einen Moment (des Glücks) auf Brandenburgs Straßen wähnen. Ohne Martinshorn. Jubel und Applaus, Bestlaune und Zuversicht schlagen dem Künstler entgegen. Im Namen der Gemeinde dankte Anne Nippraschk ganz am Ende all den Helferinnen und Helfern, denn ohne sie hätte es diese außergewöhnliche Sommerkonzertreihe nicht gegeben. Und wieder ein volles Haus! Sonderapplaus bekam Musikmanager Matthias Noack als Hauptverantwortlicher und Mitwirkender.

Am kommenden Dienstag geht’s übrigens zur üblichen Zeit in einem multimedialen Theaterprojekt um “Deutsches” und “Undeutsches”, kritisch orientiert an solchen Leit- und Leidbegriffen. Das passt zum legendären Charles Spencer Chaplin. Der gebürtige Brite sah sich in der Ära McCarthy in den USA dem Vorwurf ausgesetzt, “unamerikanisch” zu agieren, ja sogar “antiamerikanisch”. Grenzüberschreitende Menschlichkeit, schon ging’s um “Kommunismusverdacht”. Selten so gelacht…

Fotos: vhs