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Die kurfürstliche Familie wie im Schlosspark unter schattigen Bäumen. I Foto: vhs

Von der Liebestragödie zum Kriegstreiberprozess

08.08.2025 | Volkmar Heuer-Strathmann

Heinrich von Kleists Drama “Der Prinz von Homburg” wird beim Sommertheater in Netzeband auch mit aktuellen Fragen aufgeladen. Bei der Premiere gab es viel Applaus für die Inszenierung von Frank Matthus und sein großes Masken-Synchrontheater-Ensemble. Im Mittelpunkt: die Schlacht bei Fehrbellin vor 350 Jahren.

“Das schönste und vollendetste Stück, das uns der unglückliche, an der Zeiten Missgunst gescheiterte Dichter hinterlassen hat”, schreibt Theodor Fontane 1876 über Heinrich von Kleist und sein Drama “Der Prinz von Homburg”, das 1809 begonnen wurde, aber erst posthum auf die Bühnen kam. Das Seelenleben des Helden, seine Gebrechen, seine Wahnvorstellungen und seine Liebestollheit ist dem Kritiker wichtig, nicht etwa der Regionalbezug durch die Schlacht von Fehrbellin im Jahre 1675. Auch nicht die Frage der Loyalität im Obrigkeitsstaat. Der Prinz hatte wider einen Befehl des Kurfürsten von Brandenburg gehandelt und war damit erfolgreich im Kampf gegen die Schweden. An einen modernen Leitbegriff wie “Selbstbestimmung” war nicht zu denken. Wie auch – beim Militär? Und beim Hoftheater?
Beim Sommertheater in Netzeband, da scheint (fast) alles möglich. Das konnten die rund zweihundert Gäste bei der Premiere unterhalb der Temnitzkirche erleben. Es lohnt sich, daran teilzuhaben, sogar wenn man – wie der Verfasser – den Stoff für denkbar ungeeignet hält für das hier im Felde schon lange Tradition gewordene Masken-Synchrontheater (MST). Es war ja Kleist selbst, den das Marionettentheater faszinierte. Allerdings geht es ihm primär um den Tanz an Draht und Faden, er sieht “Ebenmaß, Beweglichkeit, Leichtigkeit” als Chance, wenn der “Maschinist” sein Fach beherrscht. Der Menschenpuppen Kopf verliert seine kantige Dominanz, aber nicht automatisch an Seelentiefe.
Beim MST sind es Kopfgestalt und Stimmgewalt, die das Spiel prägen. Sicher: Großartiges ist Hanna Büddefeld als Maskenbildnerin gelungen. Biografie, Charakter und Positionierung fließen in Form und Farbe zusammen. Und erstarren. Leider. Puppenschicksal. Tränenlos. Aber mit Haltung. Bleiben angesichts beschränkter Bewegungsmöglichkeiten, außer in der kopflosen Schlacht mit Kanonendonner des 21. Jahrhunderts, so eindrückliche, aber künstliche Stimmen wie die von Benedict Friedrich, Tom Quaas, Anja Stange, Jan Josef Liefers, Solveig Kolletzki und Frank Matthus selbst, um nur ein paar Beispiele aus dem großen Ensemble zu nennen.

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Einfach wahnsinnig verliebt: Der Prinz und seine hinreißende Cousine Natalie. I Foto: vhs

“Prinz, Ihren Degen bitte”, sind fast schon die letzten Worte vor der Pause. Und hier die letzten Worte von Kleist. Die Todestrafe ist zu erwarten angesichts dieses Ungehorsams, mildernde Umstände wie Verliebtheit in Natalie, die Tochter des Kurfürsten, machen den Herrscher eher noch wilder. Und der Sieg? Immerhin geht es um einen Krieg.
Der steht im Mittelpunkt des zweiten Teils, für den Frank Matthus verantwortlich zeichnet. Ein Gerichtsverfahren findet statt. Es gelten die Grundsätze des Rechtsstaates. Das überrascht. Aber es hilft, zumal nun rhetorisch verbissen gekämpft wird. Leider in großer Entfernung. Scheinwerfer scheinen den Verantwortlichen zu reichen. Matthus ist selbst als Richter zu hören, der die Verhandlung unbestechlich vorantreibt mit Fragen, die historisch fundiert und zugleich hochaktuell sind. Es geht um Kolonialherrschaft und Profit, es geht um Strategien und Paradoxien. Im Programmheft wird auf die fatalen Lügen verwiesen, mit denen der Kriegseintritt der USA in den 2. Golfkrieg um 1990 legitimiert wurde. Wendezeit überall. Die Ukraine oder der Gaza-Streifen könnten einem auch einfallen als Schlachtfelder, als Zündstoff der Debatte, natürlich nicht in schlichter Analogie zu 1675.

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Damals bei Fehrbellin – gern schaut manch’ Brandenburger Edelmann hin. I Foto: vhs

Kleists Bühnensprache dominiert zunächst. Nüchterne Gerichtsprosa folgt später. Die Agierenden tun im Felde das Mögliche. Es gibt starke Gesten. Heiterkeit breitete sich aus unter den voll geforderten Gästen, als kurz Gilbert Becauds Chanson “Nathalie” zu hören war. Zum Katalog großartiger Überraschungen gehören beim Sommertheater in Netzeband auch Motocrossfahrer und ihre krassen Gäule. Bliebe nur noch die Frage, warum man es hier nicht bei Styropor und krachender Studiotechnik beließ. Da keimt Hoffnung auf fur’s Jubiläumsjahr 2026 – vielleicht mal nach 30 Jahren MST ein Demaskierungsstück, das die selbst verschuldete Beschränktheit im Spiel mit Leib und Seele überwindet? Womöglich sind große Schauspieltalente unter den Pappkameraden und Pappkameradinnen..