Von der traditionellen Litfaßsäule zum modernen digitalen Alarmsystem
Litfaßsäulen sind in der Fontanestadt Neuruppin keine Seltenheit. Nicht allein auf dem Schulplatz kann man sich bestens informieren. Plakativ, versteht sich. Die Stadt informiert an so manchem Straßenrand über Events, etwa in der Kulturkirche. Im hessischen Darmstadt geht man ganz neue Wege. Litfaßsäule 4.0 heißt das erste Vorzeigeobjekt in der Büchnerstadt.
Eine der zahlreichen Säulen fällt in Neuruppin aus dem Rahmen. Sie steht gegenüber vom ehemaligen Bahnhof – heute “Mittendrin”. Sehnsucht nach Frieden wird zum Ausdruck gebracht. Ganz anders als 1854 von dem Berliner Drucker Ernst Litfaß konzipiert, sind es hier heute nur Buchstaben, die beachtet sein wollen. Nicht eben groß, aber lesbar, wenn man nähertritt. Verfall wird gleichermaßen sichtbar. Bewirtschaftet wird sie anscheinend nicht. Ihre Geschichte bleibt bislang ihr Geheimnis.
Um Frieden geht es auch in Darmstadt. Und um Krieg. Etwas weniger dramatisch klingt es, wenn nur von Katastrophenalarm und Kriseninformation die Rede ist. An der Technischen Universität in Darmstadt hat man die Litfaßsäule 4.0 entwickelt. Im April wurde sie eingeweiht, zunächst nur mit Reklame in eigener Sache. Die Menschen sollen wissen, was hier auf dem Riegerplatz geboten wird. Und welche Entwicklung von diesem Prototypen ausgehen soll.
Angenommen, es gibt einen länger anhaltenden Stromausfall. Der lässt diese Litfaßsäule kalt. Sie ist energieautark, wie die Betreiber schreiben. “Warnmultiplikator” nennen sie das Ding etwas unbeholfen. Dabei ist Darmstadt die Gemeinde der Sprachpflege. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hat hier ihren Sitz. Der Dichter Georg Büchner saß hier ab 1825 auf der harten Schulbank des Großherzoglichen Gymnasiums.

Heute wird in Darmstadt “Resiliente Krisenkommunikation” versprochen. Bei Gefahren und im Krisenfall, also sicher auch im Kriegsfall sollen die Bürgerinnen und Bürger wissen, was läuft. Um Events geht’s nicht. “Rundherum immer gut informiert”, wird die hessische Digitalministerin Kristina Sinemus (CDU) zitiert. Ein Blaulicht obenauf der Säule wäre zu wenig und zugleich zu pauschal. Die Menschen sollen digital erreichbar sein im Fall der Fälle, soweit deren Batterien das noch hergeben. An demProjekt werde weitergearbeitet, heißt es aus der Universität. Die digitale Infrastruktur gehört zu den Zukunftsprojekten in Deutschland.
Ernst Litfaß machte vor etwa 170 Jahren mit seiner Säule den Weg frei zu neuenWerbekampagnen. Es sollte nicht mehr wild plakatiert werden. Zum Säulenheiligen wurde er nicht, denn es ging ja zunächst um Geschäfte. Litfaß war selbst Eigentümereiner Druckerei. Man sagt ihm allerdings besonderes soziales Engagement nach. Ausgebildet war er zum Buchhändler.

Die Litfaßsäule 4.0 reiht sich ein in eine Kette von technischen und künstlerischenInnovationen oder Adaptionen. Es gibt die Säule auf einer Drehscheibe, es gibt sie mit wechselnden Videoangeboten. In der DDR erschien 1986 das Kinderbuch “Moritz in der Litfaßsäule” von Christa Kozik. Clowns und Kabarettisten sind schon als wandelnde Litfaßsäule aufgetreten oder durch die Städte gelaufen. Manche denken, die Litfaßsäule sei ursprünglich ein hohes Fass mit Buchstaben gewesen. Dann wäre die Schreibweise 1996 reformiert worden.
Zum Kulturmanagement der Stadt Neuruppin gehörte in diesem Jahr eine Befragung, die sich auf Informationsquellen im Kulturbereich bezog. Also auch auf die Restfunktion des in OPR dahinsiechenden Zeitungsfeuilletons. Erst kürzlich wurde beim Kulturstammtisch der Stadt in den Räumen der Schinkelgesellschaft der QR-Code als digitaler papierloser Zugang zu aktuellen Informationen vorgestellt. Ob die Litfaßsäulen deshalb überflüssig werden? Sicher nicht, wenn man sich in Brandenburg an Hessen orientiert und in der Fontanestadt den kommunalenSäulenbestand digital modernisiert wie in der Büchnerstadt. Fontane erlebte den Siegeszug der Litfaßsäule in Berlin ab 1854 mit.