
Tante Enso in Wustrau: “Unser Laden ist mehr als ein Supermarkt, er ist ein Treffpunkt”
Susann Gehlhorn und Danny Erdmann im Gespräch über den 24/7-Shop, die Versorgung auf dem Land und Stammkunden, die nicht nur zum Einkaufen gern kommen.
Frau Gehlhorn, Herr Erdmann, seit einem halben Jahr gibt es in Wustrau einen Tante-Enso-Supermarkt – also eine Möglichkeit, an sieben Tagen in der Woche 24 Stunden Lebensmittel einzukaufen. Wie ist die Idee für das Konzept entstanden?
Danny Erdmann: Tante Enso war zunächst ein Online-Shop für besondere Lebensmittel von sogenannten Food-Pionieren, also Produkte von kleinen Herstellern und aus kleinen Manufakturen, die noch nicht den Sprung in die großen Lebensmittelmärkte geschafft haben. Dann gab es eine Anfrage aus einer Gemeinde bei Bremen, die gesagt hat: Online schön und gut, aber wir wollen euch hier vor Ort haben. Dann sind wir zwei Mal mit dem Verkaufswagen hingefahren. Wenig später hieß es: Wir wollen euch immer hier haben. Also haben wir überlegt: Wie können wir einen Markt aufbauen? Wie sieht er aus? Was muss er können? Und welchen Anspruch haben die Kunden?
Zu welchen Erkenntnissen sind Sie dabei gelangt?
Danny Erdmann: Wir haben schon ein klassisches Markensortiment und achten auf regionale Produkte und unsere Food-Pioniere, weil das unsere DNA ist. Deshalb werden die Sachen auch besonders gekennzeichnet und gut sichtbar platziert.
“Es gibt auch eine Anfrage aus Freyenstein“
Nachdem der erste Tante-Enso-Markt geöffnet hatte, ist das Interesse in den umliegenden Orten gewachsen, so wie es jetzt vielleicht auch in Ostprignitz-Ruppin passiert. Es gibt zum Beispiel eine Anfrage aus Freyenstein, an der wir gerade arbeiten. Und viele, viele andere Anfragen aus anderen Orten.
Was heißt das konkret in Zahlen?
Danny Erdmann: Mittlerweile betreiben wir deutschlandweit 63 Märkte und haben über 1500 Interessenten. Man muss dazu wissen: Wir suchen den Standort nicht selbst aus, sondern die Orte bewerben sich. Dann folgt eine Standortanalyse: Wo ist der nächste Supermarkt? Ergibt das Ganze Sinn? Wenn das passt, machen wir eine Kampagne und stellen das Konzept vor, wobei jedes Dorf eine gewisse Anzahl von Teilhabern für die Genossenschaft aufbringen muss. Die Menschen vor Ort bekräftigen damit ihr Interesse, können dafür aber auch viele Sachen mitbestimmen: die Farbe des Ladens, das Sortiment, die regionalen Hersteller, um nur einige Beispiele zu nennen.
Welche Bedeutung haben die Tante-Enso-Läden für die Versorgung der Menschen auf dem Land?
Susann Gellhorn: Ich kann nur für Wustrau sprechen, aber hier war es so, dass die Leute den Markt unbedingt wollten und richtig dafür gekämpft haben.
“Die Menschen sind so froh, im Ort einkaufen zu können.”
Auch ein gutes halbes Jahr nach der Eröffnung merke ich jeden Tag, wie froh die Menschen darüber sind, im Ort einkaufen zu können. Das gilt vor allem für die Älteren, die vielleicht keinen Führerschein haben oder niemanden, der mit ihnen in die Stadt fährt. Sie können hier alles kaufen, was sie brauchen. Meine Stammkunden kommen drei, vier Mal die Woche. Wir halten auch oft einen kleinen Schnack oder trinken einen Kaffee zusammen. Der Tante-Enso-Laden ist mehr als ein Supermarkt, er ist ein richtiger Treffpunkt geworden, in dem auch die neuesten Neuigkeiten ausgetauscht werden.
Und außerhalb der regulären Öffnungszeiten? Wie funktioniert das 24/7-Konzept?
Susann Gellhorn: Ganz einfach. Man holt sich eine Tante-Enso-Karte, mit der man sich identifiziert und den Markt rund um die Uhr betreten kann. Dann muss man den Einkauf selbst scannen und bezahlen – und das war’s auch schon.

Wie liefen denn die ersten Monate?
Danny Erdmann: Zu Beginn gab es bei der Warenversorgung logistische Probleme. Nach der Eröffnung waren manche Regale schnell leer, weil wir natürlich noch nicht wussten, welche Produkte wie oft gekauft werden. Es gab massive Lücken bei den Dauerbrennern, das war nicht so cool für viele Kunden. Nach sechs bis acht Wochen haben wir dann die Bestände überprüft und das Sortiment basierend auf den ersten Daten angepasst.
Und heute?
Susann Gellmann: Haben wir ein breites Angebot und können jederzeit auf die Bedürfnisse und Wünsche unserer Kunden reagieren. Direkt im Eingangsbereich steht zum Beispiel eine große Tafel, auf die man Sachen schreiben kann, die man sich wünscht oder die einem fehlen.
“Zur Vollversorgung fehlen nur Kleinigkeiten”
Im Grunde fehlen nur Kleinigkeiten zur Vollversorgung: Fleisch zum Beispiel ist ein kleines Problem, weil die Hygienevorschriften enorm sind. Aber wir haben das Thema auf dem Schirm und arbeiten an einer Lösung.
Was sind die Verkaufsschlager?
Susann Gellmann: Sachen des täglichen Bedarfs: Butter, Milch, Eier, Mehl, eine frische Wurst dazu, ein bisschen Obst und Gemüse, Brötchen. Man darf behaupten, dass wir die Lücke geschlossen haben, die Ende 2023 durch die Schließung des Dorfkonsum entstanden ist, den es jahrzehntelang in Wustrau gegeben hatte.
Was war Ihre Motivation, eine Tante-Enso-Filiale in Wustrau zu eröffnen?
Susann Gellmann: Ich komme ja von hier und habe auch das Gefühl, ich mache etwas für den Ort. Auf dem Dorf ist das einfach ein anderes Gefühl: Man kennt sich beim Vornamen. Ich gehe jeden Morgen gern zur Arbeit. Vor der Eröffnung kannte ich zwar auch schon halb Wustrau, aber jetzt kann ich kaum mehr durchs Dorf fahren, ohne dass ich an irgendeiner Ecke von jemandem gegrüßt werde. Das ist wirklich toll!
Wird das 24/7-Angebot denn gut angenommen?
Danny Erdmann: Auf jeden Fall. Es gibt den Leuten Flexibilität.
“Ein Mehrwert für den Ort, den viele Städter nicht haben”
Ich zum Beispiel wohne am Stadtrand von Leipzig und habe keine Chance, auf so ein Angebot zurückzugreifen. Es ist ein großer Mehrwert für den Ort, den viele Städter nicht haben. Und es gibt noch andere positive Aspekte, die man in diesem Zusammenhang nennen kann.
Was meinen Sie genau?
Danny Erdmann: Susann hat es ja schon ausgeführt: Der Tante-Enso-Laden ist auch ein sozialer Treffpunkt und hat sich in manchen Fällen sogar zum neuen Ortsmittelpunkt entwickelt.
“Wir tun etwas Gutes für den Ort – und wir leben im Umkehrschluss vom Ort.”
Die Leute treffen sich, die Gemeinde baut Sitzbänke vor dem Laden, manchmal siedeln sich auch andere Geschäfte an, weil sie merken: Es passiert wieder etwas. Wir tun also etwas für den Orte – und wir leben im Umkehrschluss natürlich auch vom Ort. Wenn 90 Prozent der Wustrauer sagen würden, wir fahren lieber nach Neuruppin einkaufen, würde sich Konzept nicht tragen.
Nachhaltigkeit ist beim Umgang mit Lebensmitteln ein großes gesellschaftliches Thema. Inwiefern spielt das auch für Tante Enso eine Rolle?
Danny Erdmann: Das ist und selbstverständlich bewusst. Deshalb beteiligen wir uns unter anderem an Initiativen wie “Too good to go”. Wir packen also Beutel mit verschiedenen Lebensmitteln, die online inseriert werden. Sie haben einen Wert von zwölf Euro, kosten aber nur vier Euro. Dieses Angebot nehmen viele Kunden in Anspruch, weil sie so Lebensmittel für einen guten Preis erwerben können, die sonst in der Tonne landen würden. Das ist ein gutes Beispiel zum Thema Nachhaltigkeit.
Welche Pläne und Ziele gibt es mit Blick in die Zukunft für die Tante-Enso-Läden?
Danny Erdmann: Perspektivisch sehe ich uns als den Versorger im ländlichen Raum, gerade in Orten mit 1000 bis 3000 Einwohnern, und bin überzeugt, dass wir weiter wachsen werden und Wustrau nicht der einzige Tante-Enso-Laden im Land Brandenburg bleiben wird.