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Das Friedrich-Gymnasium Luckenwalde am Rande des Wettbewerbsareals. I Foto: vhs

Wo Rudi Dutschke zum Oppositionellen wurde, ist nun Schinkel-Wettbewerb

21.11.2025 | Volkmar Heuer-Strathmann

Für Luckenwalde ist 2026 ein Schinkel-Jahr. Der Architekten- und Ingenieurverein Berlin-Brandenburg hat den Schinkel-Wettbewerb 2026 in der Kreisstadt ausgerufen. Man hofft auf die Kreativität junger Akteure. Theodor Fontane weilte schon im Jahr 1855 dort.

“Luckenwalde steht links. Schade! Luch im Wald hätte rechts gestanden.” So politisch? So dämlich? Mit diesen Worten enden tatsächlich die Beobachtungen Fontanes in den “Wanderungen durch die Mark Brandenburg”. Die “Fabrikstadt” Luckenwalde hat für ihn stark an Zauber verloren. Er kann sich nicht für die “Dampfkraft Luckenwaldes” erwärmen. Für die wachsende Arbeiterschaft auch nicht. Aber ein Loblied in Prosa wird immerhin zitiert.

Die Gegenüberstellung von Rechts und Links in und um Luckenwalde sollte im 20. Jahrhundert nochmal große Brisanz bekommen. Und an die Grenzen solcher Schemata führen. Alfred Willi Rudolf Dutschke kam am 7. März 1940 in Schönefeld unweit von Luckenwalde zur Welt. Der Vater im Nazi-Krieg und danach zwei Jahre in sowjetrussischer Gefangenschaft, die Mutter mit nun vier Jungen auf familiäre Hilfe in Luckenwalde angewiesen. Es war eine Zäsur für alle Dutschkes, als Rudi 1958 nicht mitmachte beim verlangten Eintritt in die Volksarmee. Aus dem Studium des Sportjournalismus in Leipzig würde also nichts werden.
Sein pazifistisches Aufbegehren, das auch auf Kirchen- und Glaubenskräfte zurückzuführen war, galt 1958 in SED und FDJ als “rechts”. Der Westberliner Verfassungsschutz indessen sollte ihn Jahre später als einen der Wortführer der 68er als “linksextrem” einordnen. Ein Rechtsextremist schoss am 11. April 1968 auf dem Ku’damm auf Rudi Dutschke. Sein Tod Heiligabend 1979 im dänischen Aarhus wird als Spätfolge des Attentats angesehen.

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Erinnern und verschweigen die Dutschke-Platte am Friedrich-Gymnasium

Man gedenkt seiner am heutigen Friedrich-Gymnasium in Luckenwalde mit einer Tafel. Die Bildungsanstalt gehört noch zum Terrain, das für den Schinkel-Wettbewerb 2026 ausgewählt wurde. Im Museum präsentiert man eine seiner Lederjacken. Wer in Schinkel nicht nur den berühmten Architekten, Maler und Denkmalpfleger sieht, wer seinen Werdegang beachtet, wird zwischen ihm und Dutschke einen ganz wesentlichen Unterschied feststellen. Karl Friedrich verließ das Berliner Gymnasium zum Grauen Kloster ohne Abschluss. Die Gillys lockten, also eine Ausbildung zum Architkten fern der Schulbank. Rudi entschied sich 1960 nach einer Lehre in einem VEB, nun doch noch in Westberlin den Erwerb des Reifezeignisses westlicher Art zu versuchen. Und das klappte, ein paar Wochen vor dem Mauerbau.

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Als wäre er eine Schönschreibübung – der Gesinnungsaufsatz westlicher Art.

In Luckenwalde hat man die Erinnerungsarbeit zu früh als erledigt betrachtet. Dutschkes Abituraufsatz, immerhin mit “Sehr gut” benotet, sei nicht mehr aufzufinden, liest man auf der Homepage der Schule. In Ulrich Chaussys Biografie aus dem Jahr 2018 ist der Text jedoch abgedruckt. Nicht in Gemeinschaftskunde, sondern im Im Fach Deutsch hatte der Zögling sich zum Artikel 21 Grundgesetz zu äußern, speziell zur “politischen Willensbildung des Volkes” und damit auch zur Rolle der politischen Parteien.
Fontanes Einschätzung der Luckenwalder wird durch ein paar Sätze des Zöglings aus der “Ostgruppe” völlig auf den Kopf gestellt und die Note samt Kommentar wirkt wie ein Geschenkpaket. Dutschke möchte, “dass die gegnerischen Parteien sich (in Bonn) bewusst sind, eine gemeinsame Idee in der Bewahrung des Abendlandes zu besitzen”. Der Prüfling weiß ganz sicher: “Durch Presse, Rundfunk und Fernsehen wird der heutige Mensch politisch bearbeitet.” Über die parlamentarische Demokratie und die Parteien liest man: “Nach dem berüchtigten Proporzsystem teilen sich die Parteien Ministerämter und Verwaltungsämter.” Ein Kartell womöglich? AfD-Parolen antizipiert von einem Abiturienten, der wenige Jahre später riesige Demonstrationen der außerparlamentarische Linken anführt?
Dutschke selbst setzt auf demokratische Erziehung mit Gewissenbildung und kritisiert die West-Alliierten massiv. Damals noch recht kirchennah will er “Wahrhaftigkeit” als Alternative für die Bonner Republik statt Wahlkampf ohne Substanz. Er sieht in einem Bürgermeister in Gifhorn, der aktiver NSDAP-Mann war, keinen Ausnahmefall. Ein zentrales 68er-Thema kündigt sich bereits an. Dass die Volkskammer in Ostberlin ihm auch nicht als das Wahre gilt, bleibt nicht verborgen. Er bleibt paar Tage vor dem Mauerbau in Westberlin.
Heldengedenken war für Karl Friedrich Schinkel ein ganz großes Thema. Entsprechende Aufträge gehörten zu seinem Job. Die im Jahr 2004 gefertigte Tafel in Luckenwalde ist minimalistisch angelegt. Kein Wort zur Repression an der DDR-Oberschule. Kein Wort vom Wagemut. “68er-Bewegung” erfasst kaum die ganze Zeitenwende jener Jahre. Beim Schinkel-Wettbewerb soll es ausdrücklich nicht nur um Architektur und Baukunst in dem ausgewiesenen Teil der Stadt Luckenwalde gehen. Aber ob sich jemand an die Gedenkkunst wagt? Für Theodor Fontane zumindest wäre, was Dutschke noch verlauten lassen sollte, sowieso nur “Dampfkraft Luckenwaldes” gewesen.

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Foto 2: Wikipedia, Informationen zur Stadt Luckenwalde
Foto 3: Reproduktion aus: Chaussy, Ulrich; Rudi Dutschke – die Biografie; 2018